Wir fahren aufs Land

[Tag 6]

Unser sechster Tag beginnt entspannt. Wir treffen uns erst um 9:15 Uhr, was in diesem Urlaub gleichbedeutend mit Ausschlafen ist.

Wie jeden Morgen pilgert jeder zu seiner Zeit vom Hotelzimmer zur Hotellobby, um sich den nationalen kulinarischen Gelüsten hinzugeben.

Toyoko Inn Frühstück

Zur vereinbarten Zeit schaffen wir es sogar ohne Nachzügler pünktlich zu unserem heutigen Reiseziel, Ueda, aufzubrechen. Ueda (auf deutsch wohl sinngemäß sowas wie Oberfelde) liegt in den japanischen Alpen und soll uns helfen, unsere über die Tage an den Füßen angesammelten Blasen aufzuweichen und loszuwerden. Ruhe und Erholung statt körperlicher Ertüchtigung beim Sightseeing und Stress im Großstadttrubel sind angesagt.

Wir steigen wie gewohnt in unserer Tokyoter-Heimatstation Tawaramachi (Feldfelderdorf) ein und lassen uns mit der Metro und JR bis nach Tokyo (Oststadt) kutschieren, wo wir eine halbe Stunde Zeit haben den Shinkansen mitsamt Bahnsteigpersonal beim Ein- und Ausfahren abzulichten. Besonders spannend: Da es für uns auch mit dem Schnellzeug weitergeht, bekommen wir von Andreas zwei zusätzliche Papier Tickets. Der Clou: Die Bahnhofsschranken, welche die Tickets sekundenschnell scannen und auf der anderen Seite wieder ausspucken, schaffen es sogar beide Tickets aufeinander gestapelt auszuwerten. In Deutschland wäre man froh, gäbe es überhaupt irgendeine Bahnhofsschranke.

Im Schnellzug haben wir für etwa eineinhalb Stunden Zeit, in uns zu gehen oder den Sitznachbar japanisch-gesittet zu unterhalten, während das Boardpersonal mit üblichen Verköstigungen wie Cafe oder auch Bentoboxen vorbeischlendert. Dem heißen Tipp, die Zugtoilette zu besuchen, kann ich aufgrund fehlender Motivation nicht nachgehen, habe mir aber von Monika sagen lassen, dass da auch für japanische Verhältnisse nix besonderes dran sei. Ich glaube, Andreas bezog den Vergleich eher zum gewohnten IC/ICE Klo mit chronischem Seifenmangel und Papierstau.

Als wir nach der entspannten Fahrt im dörflicheren Ueda aussteigen, knallt uns sofort der an Tag 1 herbei gebetene Sonnenschein bei strahlend blauem Himmel entgegen.

Weil wir noch eine Stunde Zeit haben, bis uns der Ryokan (Reisehalle) Hotelbus abholt und mein Magen wieder gefüllt werden möchte, begebe ich mich auf Nahrungssuche. Im Bahnhof finde ich auch direkt einen Soba-Laden, der mein Verlangen mit einer Weizennudelsuppe stillt. Dabei orientiere ich mich an den im Laden befindlichen Japanern und wische nach getaner Arbeit den Tisch mit einem herumliegenden Lappen ab.

Weil diese Nahrungsaufnahme – ähnlich wie viele zuvor getätigte – rasch erfolgte, habe ich immer noch etwas Zeit und nutze diese um ein paar Daifukus (Großes Glück) im Bahnhofsladen zu kaufen: ein Gebäck bestehend aus Klebereismehl mit verschiedenen süßen Füllungen. Dazu gesellen sich noch ein paar herkömmliche und nicht weiter aufregende Kartoffel-Chips und Instant-Nudeln; man weiß ja nicht, wie schnell man auf dem Lande wieder an Essen kommt.

Um 13 Uhr, natürlich punktgenau (wie bei allen vorangegangenen Zügen), kommt der kleine Ryokan-Sammelbus und kutschiert uns voll gepackt mit Mensch und Koffer ins Landesinnere. Die Gebäudehöhe und -menge nimmt ab, die Anzahl der Leute ebenso. Das muss die im Reiseplan angepriesene Entschleunigung sein.

Nach etwa 20 Minuten kommen wir am Ryokan an und checken sofort auf japanische Weise ein: Raus aus den Schuhen. rein in die Pantoffeln. Als Europäer mit Schuhegrößen ab 43 hat man es dabei jedoch nicht gerade leicht, sofern man seine persönlichen Hausschuhe nicht in petto hat.

Hausschuhe im Ryokan

Danach gibt uns Andreas eine Einweisung in die Räumlichkeiten und zeigt das von allen heißersehente Onsen (Warme Quelle). Der Geruch nach faulen Eier verrät, dass die Einrichtung authentisch ist.

Nachdem jeder auf seinem Zimmer ist, sind noch zwei Stunden Zeit, bis das Onsen offiziell öffnet. Marco und ich nutzen die Zeit, um neidvolle Fotos des Zimmers zu schießen und abzuspannen.

Als es dann endlich soweit ist, begeben wir uns zum Onsen und reinigen uns gründlich mit Waschlappen und auf einem Hocker sitzend an den Duschbrauseeinrichtungen, bevor es dann voller Freude ins warme Nass geht.

Im Outdoor Onsen genießen wir mit besten Blick auf die Alpen und komplett ohne weitere Gäste den Entspannungs-Moment; ein Highlight dieser Reise.

Nach etwa 10 Minuten und einsetzenden Hitzewallungen verlassen wir das Becken, als uns Helmut gerade ablöst.

Die restliche Zeit bis zum Abendbrot verbringen wir weiterhin im Ruhemodus und versuchen, einen für den Yukata (in Kleidung gehüllt) Gürtel hübsch zu zubinden. Das Ryokan stellt dabei jedem einzelnen Besucher einen solchen zur Verfügung, so dass wir beim gemeinsamen Mahl ein hoffentlich schönes Gruppenfoto knipsen können.

Das Abendmahl stellt dann den zweiten Höhepunkt des Tages dar: Von Fisch, über Salzsuppe, Reis, frisch gekochtem Rindfleisch, frittierten Gemüse, einer Art Lasagne und einem Dessert, wird jeder Geschmacksnerv bis zum Höhepunkt gekitzelt; der Gourmet-Moment.

Natürlich wird auch entsprechend Flüssiges aufgetischt: japanisches Bier und Sake in rauen Mengen lassen die Laune bei allen steigen und halten die Feier bis nahezu 22 Uhr am Laufen, sprich: kurz bevor die Nachtruhe einsetzt. Kurzeitig wurde der Versuch unternommen, zusammen mit anderen, im Urlaub befindlichen Japanern eine Karaoke-Session zu veranstalten; zu unserer Enttäuschung war es in deren Esszimmer (in dem sich die einzige Karaoke-Anlage befindet) jedoch schon ab 20 Uhr zappenduster. 

Nach der kleinen geselligen Runde finden sich die Hartgesottenen im Onsen unter japanischen Nachthimmel wieder, um den wunderschönen Tag entspannt ausklingen zu lassen und um am nächsten Tag fit für die kleine Wanderung zu sein oder auch einfach nur weiter im Ruhemodus zu verweilen.